Erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung und Neue Autorität

In den letzten eineinhalb Jahren waren wir von der Lebenshilfe Tirol eingeladen, in der Region Kitzbühel Mitarbeitende in „Neuer Autorität und Gewaltfreiem Widerstand“ auszubilden. 16 Mitarbeitende in unterschiedlichen Funktionen absolvierten mit uns den gesamten Lehrgang zum „Coach für Neue Autorität“.

Für uns hatte dieser Lehrgang Experiment-Charakter, da es das erste Mal war, dass wir uns – gemeinsam mit den Expert_innen aus der Lebenshilfe – Gedanken machten, wie die Ideen von Prof. Haim Omer und seinem Team in der Arbeit mit erwachsenen Menschen mit Beeinträchtigung angewandt werden können.

Zum Abschluss präsentierten nun alle Teilnehmenden ein Praxisbeispiel, wie sie das Konzept auf ihren Arbeitsbereich übersetzten und welche Ergebnisse sie damit erzielten. Dabei wurden mehrere Effekte sichtbar, und in den Präsentationen auch so genannt:

Ganze Teams fühlten sich durch die Auseinandersetzung mit der Grundhaltung gestärkt.
In mehreren Situationen wurde beschrieben, wie mithilfe der Herangehensweisen der Neuen Autorität in den Teams eine gemeinsame Haltung zu auftretenden Herausforderungen erzielt werden konnte. Das dadurch entstandene „WIR-Gefühl“ führte zu Klarheit und Stärke in Bezug auf die gemeinsamen Werte und die Ziele, die sich daraus ergaben.

Die Beziehungen zu den Klient_innen und Angehörigen haben sich verbessert.
Sowohl den Klient_innen als auch den Angehörigen gegenüber gelang es vielen Teilnehmenden, eine wertschätzende Haltung einzunehmen und die Wichtigkeit einer guten Beziehung zu vermitteln. Parallel dazu konnte klar vermittelt werden, wenn destruktive Verhaltensweisen eine positive Entwicklung gefährdeten. Auf Basis der guten Beziehung konnte dies von allen Beteiligten gut akzeptiert werden.

Klient_innen wurden mit Hilfe der Neuen Autorität und des Gewaltfreien Widerstands befähigt, für die eigenen Rechte und Bedürfnisse einzustehen.
Menschen, die auf die Assistenz von Fachkräften angewiesen sind, sind es oft nicht gewohnt, ihren Bedürfnissen konstruktiv Ausdruck zu verleihen und für ihre Rechte einzustehen. Die Haltung der Neuen Autorität und die Herangehensweisen aus dem Gewaltfreien Widerstand wurden auch genutzt, um Menschen mit Beeinträchtigung genau in diesem Punkt zu befähigen. Das dadurch erreichte Empowerment hatte eindrückliche Wirkung.

Durch ein gemeinsames Vorgehen bei übergriffigem Verhalten fühlten sich die Mitarbeitenden sicherer und besser geschützt.
Bei Verletzung der Integrität von Mitarbeitenden oder auch Klient_innen konnten die Teams auf Basis der Haltung der Neuen Autorität eine klare Position einnehmen und deutlich machen, welche Verhaltensweisen nicht toleriert werden können. Dies diente der Sicherheit der Mitarbeitenden, dass sie nicht alleine für ihren Schutz verantwortlich sind und half ihnen, ihre professionelle Rolle mit entsprechender Klarheit einzunehmen.

Die Teams (auch Einrichtungs-übergreifend) sehen die "Neue Autorität" als wertvolle, gemeinsame Reflexionsgrundlage.
Eine gemeinsame Haltung zu entwickeln bedingt die Auseinandersetzung mit den Werten, die im Team und in der Einrichtung gelten. Dadurch konnte in den Teambesprechungen eine neue Reflexionsebene etabliert werden, die als sehr hilfreich beschrieben wurde.

"Die Neue Autorität ist für alle unsere Klient_innen brauchbar", sagte eine Teilnehmerin im Rahmen ihrer Präsentation. Gleichzeitig waren sich viele aus der Gruppe einig, dass es wirklich diese eineinhalb Jahre intensiver Auseinandersetzung gebraucht hat, um die Haltung in die tägliche Handlung übertragen zu können.

Wir schlossen mit dem Resümee, dass das Experiment gelungen ist. Die frisch gebackenen „Coaches für Neue Autorität“ zeigten sehr viel Engagement bei der Umsetzung und Anwendung und entwickelten bereits einige Ideen wie sie sicherstellen können, dass die Haltung der Neuen Autorität in ihrer täglichen Arbeit wach bleibt.

1. Juli 2020, Martin A. Fellacher