Neue Autorität … klingt gut … aber bei uns geht das nicht!

Es passiert uns immer wieder, dass Besucher:innen von unseren Vorträgen oder Einführungsseminaren zwar schnell Begeisterung für die Ideen der Neuen Autorität empfinden, anfangs aber überzeugt davon sind, dass es in ihrem jeweiligen Kontext nicht umsetzbar wäre.

1999 brachte Haim Omer das Konzept „Neue Autorität – Gewaltloser Widerstand“ nach Deutschland, damals um Eltern aus ihrer Ohnmacht zu befreien, wenn ihre Kinder Gewalt gegen andere Kinder, sich selbst oder Gegenstände anwendeten.

Wir haben mit einigen Kolleg:innen und Lehrpersonen wenige Jahre später in Osnabrück den Verein „Ahimsa“ gegründet. Ziel sollte es sein, das Konzept für Schulen zu „übersetzten“. Oft kam als Reaktion: „Das geht bei uns nicht!“ „Die Eltern sind nicht zur Zusammenarbeit bereit.“ „Unseren Schüler:innen gehen da nicht mit, die brauchen Konsequenzen.“ „Kommen Sie erst einmal eine Woche zum Hospitieren an unsere Schule, damit sie mitbekommen, wie es hier zugeht und dass da „Kuschelpädagogik“ nichts bringt.“
Wenn ich mit Teams gearbeitet habe, die in interkulturellen Settings unterwegs sind, habe ich ebenso oft gehört: „Das geht hier nicht: die Sprache, die anderen kulturellen Werte“ „Ich als Frau …“ 

„Traumapädagogik und Neue Autorität, das geht nicht zusammen. „Es würde die traumatisierten Kinder oder Jugendlichen und die Eltern überfordern“, hat mir einmal ein Kollege gesagt.

Oder: „Neue Autorität ist ein Erziehungskonzept. Für erwachsenen Menschen mit Beeinträchtigungen passt das nicht. Die verstehen uns ja gar nicht.“

Oder: „Neue Autorität ist ein Bindungskonzept. Für unserer Einrichtung (Jugendschutzstelle, Aufnahmeheim) passt das nicht. Die Jugendlichen sind nur sehr kurz bei uns und in dieser Zeit sollen oder können sie keine zu enge Beziehung eingehen.“

Es geht und passt, immer wieder. Dazu braucht es ein gemeinsames neu Denken, Übersetzen, Inspirieren, mit uns als „Profis“ für Neue Autorität und mit den Expert:innen für die jeweiligen Arbeitsfelder, in die wir es gemeinsam übersetzen.

Was sind die Gründe für das immer wieder erzählte: „Für oder bei uns geht oder passt das nicht …“ Woher kommt dieser „drempel“, wie er bei mir in den Niederlanden heißt? Wo hat diese Hürde, diese Schwelle ihre Wurzeln?

Einige Hypothesen könnten sein:

  • Wir sind es gewohnt und haben gelernt, unseren pädagogischen Erfolg an den erwünschten Verhaltensänderungen der Kinder, Jugendlichen oder auch Erwachsenen zu messen, am besten schnell und langfristig im Sinne von „Schalter umlegen“. Die Haltung, die immer wieder die Illusion der Kontrolle über das Verhalten von Anderen betont, deren Ziel es ist, das eigene Verhalten zu verändern, ist noch zu ungewohnt. „Dranbleiben“, statt weg zu schicken, wird oft als zu mühsam angesehen. Vernetzung und Bündnisarbeit erscheinen schwierig. Auf „Konsequenzen“, also auf Strafen und Belohnen zu verzichten, erscheint im Team oder mit Eltern nicht konsensfähig. Auf Strafen zu verzichten wird außerdem oft als Schwäche oder „Kuschelpädagogik“ abgewertet.
  • Im pädagogischen Alltag erscheint es zu (zeit)aufwending, Bündnisse und Netzwerke zu schaffen, präsent und beharrlich zu bleiben, an Wiedergutmachungen zu arbeiten.
  • Klient:innen mit Traumaerfahrungen oder Beeinträchtigungen sollen geschützt (in ihren Wachstumspotential vielleicht auch unterfordert?) werden. Die Haltung und damit auch die Methoden der Neuen Autorität, erscheinen überfordernd. „Die Person hat schon so viel erlebt und jetzt sollen wir ihr nicht nur deutlich sagen, sondern durch unser Verhalten deutlich zeigen, dass wir mit ihrem Verhalten nicht einverstanden sind (Schweigen, eine Ankündigung, Unterstützung holen)? Die Arme!?“
  • Die Reaktionen der Klient:innen werden gefürchtet: „Dann wird das Verhalten nur noch schlimmer oder gewalttätiger.“ „Dann zieht er oder sie sich noch mehr zurück, verletzt sich noch mehr.“ „Dann liebt /mag er oder sie mich nicht mehr …“
  • Etwas ganz anderes??

Wir freuen uns über einen Austausch zu diesem Thema, entweder unter diesem Facebook-Beitrag oder per eMail an mich!

Juni 2021, Angela Eberding