Was wir in Bezug auf Führungsautorität unter anderem aus dem Umgang mit der Corona-Pandemie lernen können

von Martin Fellacher

In diesem Text möchte ich vor allem reflektieren, was mit mir als „Geführtem“ unserer politisch Verantwortlichen in den letzten Wochen passiert ist – und was sich daraus vielleicht für den Umgang mit einer Krisensituation als Führungskraft lernen lässt. Es ist also ein absolut subjektiver Beitrag.

Wer mich auf Social-Media verfolgt, hat mitbekommen, dass ich mir von Anfang an mit dem offiziellen Narrativ, den die österreichische Regierung vorgegeben hat, schwergetan habe. Es war mir nicht klar, warum honorige Experten, die Dinge anders eingeschätzt haben, nicht in die Diskussion mit einbezogen wurden. Stattdessen wurden manche von ihnen fachlich und menschlich diskreditiert und waren bald vorrangig auf einschlägigen Plattformen – nämlich am politisch rechten Rand und auf Verschwörungsseiten – erwähnt. Da ich manche dieser Experten für glaubwürdig hielt, wollte ich nicht an das Katastrophenszenario glauben, das uns erwarten werde.

Warum nahm ich von Anfang eine kritische Position ein, im Gegensatz zu so vielen Personen in meinem Umfeld? Diese Frage stellte ich mir in letzter Zeit des Öfteren. Nicht zuletzt, weil ich mir in meinem sozialen und beruflichen Umfeld durchaus auch Vorwürfe anhören musste: Ich würde die Situation nicht ernst nehmen, verharmlosen, etc.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass wir bei PINA uns natürlich an die Vorgaben hielten, soweit möglich. Da wir Familien und Teams (auch) in akuten Krisen begleiten, war es trotzdem nötig, bei Bedarf erreichbar und im Einsatz zu sein.

Ich verglich gedanklich die Situation mit meinem Ausbildungs-Segeltörn, in dem man mir beibrachte, dass der „Skipper“ das Sagen hat; als Crew-Mitglied hat man die Kommandos zu befolgen. Dies gilt sogar, wenn ich besser ausgebildet bin oder mehr Erfahrung habe. Wenn jeder eine andere Idee verfolgt, klappt kein Anlegemanöver. Es fiel mir in diesen Situationen nie schwer, die Aufträge auszuführen.

Und ich verglich es mit meinen Erfahrungen mit Blaulichtorganisationen, mit denen ich auch schon zum Thema „Führungsautorität“ arbeiten durfte. Dabei wurde schon einige Male die Frage gestellt, ob die „Neue (Führungs-)Autorität“ in solchen Organisationen auch funktionieren könne? Im Notfall müsse jeder befolgen, was der_die Kommandant_in vorgibt.

Meine Antwort war immer: Es funktioniert trotzdem! Ich kann mit der Neuen Autorität führen. Und trotzdem hat eine Person im Einsatzfall die Koordination und Verantwortung zu übernehmen – und die anderen haben die Aufträge auszuführen. Im Anschluss kann über Fehler und falsche Entscheidungen reflektiert werden, um daraus zu lernen.

In den letzten Wochen wurde mir klar: Es braucht aber auch ein Einverständnis über den Notfall. Es reicht nicht, wenn der_die Kommandant_in sagt: „Jetzt ist Notfall!“ – und die Mannschaft keine Ahnung hat, warum dem so sein soll.

Und so dachte ich mir, dass mir dieses Einverständnis gefehlt hat, in den letzten Wochen. Nun kann das ein Bundeskanzler nicht mit jedem persönlich ausdiskutieren.

Aber: Welche Faktoren hätten in der öffentlichen Kommunikation vielleicht ein breiteres Einverständnis – zumindest bei mir - gebracht? Ich vermute hier vor allem drei Faktoren:

  • Kritischer Diskurs: Werden kritische Stimmen in die Entscheidung mit einbezogen? Wird das eigene Handeln auch – und ganz bewusst – anhand jener Expert_innen überprüft, die eine andere Vorgehensweise für richtiger halten? Wenn Entscheidungsträger_innen kritische Stimmen als „dumme Argumentation“, „falsch“ und „menschenlebend gefährdend“ deklassieren, schwächt das einerseits das Vertrauen in die Bereitschaft zu einer kritischen Auseinandersetzung der Führungskräfte, andererseits ergibt sich auch unter den „Geführten“ eine Spaltung. Einzelne Aussagen aus meinem Bekanntenkreis, man möchte sich lieber nicht mehr kritisch äußern, geben sehr zu denken.
  • Systemische Betrachtungsweise: Diese Begrifflichkeit wähle ich nach einem Gespräch gestern mit meiner Kollegin Angela Eberding, die mich darauf brachte. Und ich meine damit, dass möglichst alle Aspekte einer Situation in die Beurteilung und Entscheidung einfließen. Einerseits der Schutz vor einer sich über Infektion verbreitende Krankheit, andererseits die sozialen, wirtschaftlichen, existenziellen, gesundheitspolitischen, juristischen, etc. Folgen. Eben die Betrachtung des gesamten Systems, mit all seinen Aspekten.
  • Transparenz: Auf welcher Basis werden Entscheidungen gefällt? Ist die Evidenz dafür ausreichend, oder wird vorsichtshalber so agiert, um größeren Schaden zu verhindern? Wie wird mit dem zu erwartenden „Kollateralschaden“ umgegangen? Welche Kriterien werden bei der nächsten anstehenden Evaluierung entscheidend sein? Stimmt die Einschätzung von Mitte März noch mit dem überein, was mittlerweile die Realität gezeigt hat? Spielt der kritische Diskurs und die systemische Betrachtungsweise eine Rolle in der Entscheidungsfindung?

Daraus ergibt sich für mich nun, dass wir als Führungskräfte folgende Schlüsse ziehen können:

  • Es ist wichtig, kritische Stimmen zu hören. Wenn keine Zeit dafür zu sein scheint, kann vielleicht ein vorübergehender Krisenmodus ausgerufen werden, in dem man ankündigt, einen raschen Prozess für das weitere Vorgehen unter Einbeziehung aller Aspekte und Bedenken zu entwerfen.
    Es schwächt die Führungsautorität, wenn man vorgibt, alle Aspekte zu kennen, und Andersdenkende abwertet.
  • Ich kann als Führungskraft – ab einer gewissen Unternehmens- oder Abteilungsgröße – nicht Experte oder Expertin für alle Abläufe und Prozesse in meinem Unternehmen sein. Deshalb ist es gerade in Krisensituationen unerlässlich, möglichst heterogene Krisenteams zusammen zu stellen.
  • Es ist wichtig zu sagen, was man weiß – aber mindestens so wichtig ist zu sagen, was man nicht weiß. So entsteht ein Vertrauen in die Fähigkeit als Führungskraft, alle Aspekte abzuwägen und in die Entscheidungen miteinzubeziehen. Ansonsten könnte der Eindruck entstehen, dass ich nur jene Personen und Informationen an mich heranlasse, die meinen Kurs bestätigen – was unweigerlich zu Unmut in der Belegschaft führt.

Diese Vorgehensweise hilft darüber hinaus, ohne Gesichtsverlust aus der Krise hervorzugehen, sogar wenn  man mit seiner Einschätzung falsch gelegen wäre. Wenn man zu Beginn rigoros gehandelt hat und diese Punkte nicht beachtet wurden, ist es möglich, zu diesem Vorgehen zurück zu kehren: Es braucht dazu entweder ein Eingeständnis der Fehleinschätzung oder einen transparenten Umgang mit den Überlegungen, die zur Veränderung der Strategie geführt haben. Und es braucht die Bereitschaft, entstandenen Schaden – wo möglich – wieder gut zu machen.

21. April 2020, Martin A. Fellacher, MA DSA